Das Haus aus dem 3D-Drucker - neue Wohnformen, Folge 4
Ein 3D-Drucker in XXL, die Software und der richtige Beton
Manche Ideen sind so einfach, dass man sich fragt, warum niemand schon längst darauf gekommen ist. Wer sich dann näher damit beschäftigt, stellt fest, dass der Teufel im Detail steckt – oder in der Komplexität, wie beim Hausbau mit dem 3D-Drucker.
Die Idee, einen überdimensionalen 3D-Drucker mit Frischbeton zu füttern, der dann eine Endlos-Wurst Lage für Lage übereinanderlegt und damit eine Wand hochzieht, ist in der Tat recht schlicht. Die Umsetzung der Idee in die Praxis warf jedoch zahlreiche Fragestellungen auf.
Für den 3D-Drucker stellten sich zum Beispiel diese Kardinalfragen: Wer hat das Know-how und die Fazilitäten, um einen Drucker zu bauen, der groß genug ist, um die Wände für ein ganzes – eventuell mehrgeschossiges – Haus zu erstellen? Welche Funktionen, Eigenschaften und Fähigkeiten muss der Drucker für diese Aufgabe aufweisen?
Wer entwickelt die Drucker-Software, die ihn zum Laufen bringt und zudem die Schnittstelle zur CAD-Software der Architekten. Muss die Gestaltungssoftware modifiziert werden, damit sie für die neue Technologie brauchbar wird?
Dann die Fragen zu den Eigenschaften der Frischbeton-Mischung, die der Drucker verarbeiten können muss. Welche Zusatzmittel beeinflussen druckergerecht das Fließ- und Abbindeverhalten, die Festigkeit, Dauerhaftigkeit etc., damit der Druckerbeton trotzdem die bauspezifischen Normen einhält?
Vom Pilotprojekt zu Europas größtem Wohnhaus in Betondruck-Technologie
Wo technisches Neuland betreten wird, gilt es, erst einmal Erfahrungen zu sammeln. Probates Mittel dafür ist ein Pilotprojekt. So geschehen in der kleinen Mittelstadt Beckum in Nordrhein-Westfalen. Das im Spätjahr 2020 fertiggestellte, zweigeschossige Einfamilien-Wohnhaus zeigt exemplarisch, dass Hausbau per 3D-Betondrucker praktisch durchführbar ist. Es zeigt gleichzeitig, dass sich auch ausgefallene geometrische Formen und Linienführungen realisieren lassen: Rundungen, Wölbungen, schwungvolle Außenwände – und das ohne zeitraubende, kostspielige Schalungsarbeiten.
Vor allem Architekten werden sich darüber freuen, kreative Gestaltungsvorschläge ihren Bauherren vorlegen zu können, die sich optisch wohltuend von der herkömmlichen rechtwinkligen Bauweise ohne großen, finanziellen Zusatzaufwand absetzen.
Ein zweites, fertiggestelltes Wohnhaus steht in Wallenhausen, nahe Ulm. Es ist nach Angaben der Bauunternehmung Europas größtes in dieser Technologie errichtetes Wohngebäude: herkömmliche Gestaltung zwar, aber dreigeschossig, mit Satteldach und Gauben sowie Balkonen in Ständerbauweise, 380 qm Wohnfläche. Die Außen- und Innenwände wurden komplett im 3D-Betondruck realisiert, inklusive aller Kanäle und Aussparungen für Elektro- und Sanitärinstallationen. Die Zwischendecken sind als Filigran-Stahlbetondecken aufgelegt mit anschließend gedruckter Deckenrandverschalung.
Ein zweiter Einsatzbereich des 3D Druckers: die Bauteilproduktion
Es muss ja nicht gleich ein ganzes Haus sein. Vielleicht braucht der Bauherr für die Sanierung seines Wohngebäudes nur ein paar Stützpfeiler, einen Satz Streben oder es müssen möglichst kostengünstig die geschwungenen Handläufe von Außenbalustraden ersetzt werden. Auch können mehrfach benötigte Gebäudebauteile, in identischer oder abweichender Formgebung zeitsparend und wirtschaftlich im Betondruck hergestellt werden.
Mit kleineren, eigens dafür entwickelten Betondrucker-Typen werden sich auch Maler- und Steinmetz-Betriebe in absehbarer Zeit ausstatten können, die dann vielleicht nicht nur Beton verarbeiten, sondern einen Werkstoff, der Buntsandstein oder Kalkstein täuschend echt nachempfindet. Die Druckertechnologie wird sich im Bau- und Baunebengewerbe auch auf diesem Gebiet neue Aktionsfelder erschließen.
Die Probleme sind gelöst, der Siegeszug des 3D-Betondrucks kann beginnen – wirklich?
Die geschilderten Beispiele der beiden Hausbauprojekte zeigen konkret, dass der Verbreitung des 3D-Betondrucks technologisch nichts mehr im Wege steht. Vor allem die Vorteile gegenüber der herkömmlichen Bauweise dürfte immer mehr Architekten und Bauherren überzeugen:
- Beschleunigung der Bauzeit: 5min/qm Wandfläche im Betondruck!
- Weniger Personal: 2 Mitarbeiter zur Bedienung des 3D-Betondruckers
- Nachhaltige, Baustoff sparende Verarbeitung
- Weitestgehende Gestaltungsfreiheit für Architekten ohne zusätzlichen Schalungsaufwand
- Keine Einschränkungen hinsichtlich Langlebigkeit des Druckbetons
- Schnellere Fertigstellung des Gebäudes ohne Wartezeiten für den Innenausbau
Eile mit Weile – das ist der Weg des Fortschritts in die Zukunft
Wer nun glaubt, er könne mit fliegenden Fahnen sein Eigenheim mittels 3D-Betondrucker errichten lassen und das lieber heute als morgen, wird enttäuscht werden. Denn weder im bautechnischen noch im bürokratischen Sinne sind wir schon in dieser Zukunft angekommen. Es gibt noch zu wenige Architekten mit Erfahrung und Bauunternehmungen mit der Ausstattung eines Betondruckers, um Ihren Traum vom „Wohnen wie gedruckt“ unverzüglich zu verwirklichen.
Und weil für die Baubehörden Sicherheit vor Fortschritt geht, sind noch keine Standardverfahren für die Baugenehmigung auf Basis dieser neuen Technologie etabliert. So sind beispielsweise für den 3D-Druck zugelassene Betonmischungen noch nicht in Normen niedergelegt. Es bedarf also im Einzelfall noch einiger Überzeugungskraft und eines zukunftsorientierten Architekten, um trotzdem eine Baugenehmigung zu erhalten. Wenn Sie aber ohnehin erst in drei oder vier Jahren vorhaben zu bauen, stehen die Chancen mit Sicherheit weit besser, Ihr Eigenheim einfach drucken zu lassen.
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