Graue Energie in Gebäuden reduzieren und nutzen
1. Was versteht man unter grauer Energie?
Graue Energie ist die Energie, die
- zur Herstellung,
- zum Transport,
- zur Lagerung, zur Entsorgung,
- oder zur Verwertung beziehungsweise zum Recycling
eines Produktes benötigt wird.
Diese ganzheitliche Betrachtung eines Produktes, Objektes oder Gegenstands über den gesamten Lebenszyklus hinweg offenbart die eigentliche Umweltverträglichkeit und bringt „Greenwashing“ klar zum Vorschein. Dabei hat jeder einzelne Konsument mit seiner Kaufentscheidung einen Einfluss auf den Energieaufwand, der in das jeweilige Objekt gesteckt wurde und wird. Denn mit dem Kauf wird die Nachfrage eines Produktes aufrechterhalten – der Konsument nimmt den Energieaufwand für die Herstellung, den Transport, die Lagerung und die Entsorgung, die Verwertung oder das Recycling in Kauf.
2. In welchen Bereichen ist graue Energie messbar?
Graue Energie kann im gesamten Produkt- oder Objektlebenszyklus nachverfolgt werden. Einflüsse sind bis in die komplexe Berechnung der Primärenergieherstellung nachzuweisen. Somit beschreibt die graue Energie alle über den Lebenszyklus aufgebrachten nicht erneuerbaren Energien.
Wird dieser eingesetzte Energieaufwand vollumfänglich nachvollzogen, können Kauf- und Nutzungsentscheidungen dahingehend beeinflusst werden, die Klimaschutzziele zu forcieren.
3. Die graue Energie im ökologischen Fußabdruck und im Sustainable Process Index
Der ökologische Fußabdruck
Der ökologische Fußabdruck wird in der Messgröße „globaler Hektar“ (gha) angegeben und beschreibt, wie viel produktive Land- und Wasserfläche auf der Erde ein Mensch benötigt, um unter den heutigen Produktionsbedingungen seinen Ressourcenbedarf zu decken und die anfallenden Abfälle zu absorbieren. In die Berechnung fließt die Nutzung von Ackerland, Weideland, Waldflächen, Fischgründen und bebauten Flächen sowie die CO2-Absorption ein. Sie konzentriert sich also auf die verfügbaren biologischen Ressourcen, da sie die Menschheit am wesentlichsten einschränken.
Durch diesen Schwerpunkt ist der ökologische Fußabdruck jedoch nur eine notwendige Mindestbedingung für Nachhaltigkeit. Die graue Energie wird in der Bemessung nicht vollständig berücksichtigt.
Der Sustainable Process Index
Aussagekräftiger ist hier der Sustainable Process Index (SPI); deutsch: Nachhaltigkeits-Prozess-Index. Mit der SPI Methode werden alle Stoff- und Energieflüsse, die für ein Produkt oder eine Dienstleistung notwendig sind, wie beim ökologischen Fußabdruck auch in Flächen umgerechnet. Dabei wird hier aber so weit wie möglich der gesamte Produktlebenszyklus dargestellt. Es fließt also die ganze Prozesskette vom Abbau der Rohstoffe über die Herstellung und Verwendung bis hin zum Recycling beziehungsweise zur Entsorgung der Materialien mit in die Berechnung ein. Der SPI ermöglicht somit auch die grauen Emissionen zu erfassen.
4. Welche Rolle spielt graue Energie in der Bauwirtschaft?
In Europa verbrauchen Gebäude mit Abstand die meiste Energie. Sogar bei energiesparenden Gebäuden wird durch den Anteil an grauer Energie bereits die Hälfte der Auswirkungen auf die Umwelt erreicht, noch bevor die Gebäude in Betrieb genommen werden. Die graue Energie von Gebäuden ist also jene Energie, die für den Bau, die Herstellung und den Transport aufgewendet wurde.
Bei der Beurteilteilung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes sollte deshalb insbesondere im Bestand außer dem aktuellen Energiebedarf für den Betrieb auch die bereits in den Mauern des Gebäudes gebundene graue Energie berücksichtigt werden. Häufig überwiegt der Anteil an grauer Energie den Anteil der im Betrieb eines Gebäudes eingesetzten Energie.
5. Die Herkunft ist entscheidend für den Anteil grauer Energie in Baustoffen
Die Baubranche ist aktuell stark auf standardisierte Systembauten ausgerichtet. Die Gebäude müssen in möglichst geringer Zeit, zu geringen Kosten hergestellt werden. Diese Voraussetzungen schaffen die Grundlage für die Nachfrage an effizienten und kostengünstigen Baustoffen, die mit großem logistischen Aufwand an jeden Ort der Erde transportiert und verbaut werden können. Die klassischen regionstypischen Bestandsgebäude werden somit verdrängt. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, in nahe gelegenen Einzugsgebieten Baustoffe aus natürlichen Rohstoffen zu gewinnen, somit Transportwege und graue Energie zu sparen. Dazu zählen zum Beispiel Naturstein, Lehm, Schilf oder hanfhaltige Bauprodukte.
6. Energieaufwand für die Produktion von Baustoffen
Die graue Energie von Baustoffen wird als Primärenergie bezeichnet. Der Primärenergieinhalt (PEI) – auch Primärenergiegehalt genannt – beschreibt den gesamten Energieverbrauch, der zur Herstellung des jeweiligen Produktes notwendig war. Unterschieden wird dabei in erneuerbare und nicht erneuerbare Energie.
Ein Großteil der Energie fließt in die Erhitzung zur Herstellung von Stahl, Zement oder Ziegel. Somit ist vor allem der Stromverbrauch in der baustoffproduzierenden Industrie sehr hoch. Neben dem hohen Energieverbrauch sind aber auch die Toxizität und die Umweltverträglichkeit ein entscheidender Faktor, wenn bewertet werden soll, wie nachhaltig einzelne Baustoffe sind. Denn insbesondere bei der Zement- und Stahlherstellung werden viele Schadstoffe freigesetzt. Ebenfalls dabei zu berücksichtigen ist, dass die Abfallstoffe der Produktion verwertet oder gelagert werden müssen. Rohstoffe, die im Tagebau gefördert werden, hinterlassen in unserer Umwelt sichtbare Spuren. Somit ist der Blick auf den reinen Primärenergieaufwand nur ein kleiner Teil, der herangezogen werden kann, um zu bewerten, wie die Produktion eines Baustoffes die Umwelt beeinflusst.
7. Energieaufwand für Baustoffe beim Transport
In Deutschland wird der Hauptteil der Waren auf den Straßen transportiert und so werden auch die Baustoffe auf motorisierte Fahrzeuge gepackt und zu den jeweiligen Baustellen verfahren. Dabei kommen aufgrund des Baubooms immer mehr Baustoffe aus dem gesamten europäischen Ausland über Ländergrenzen hinweg zu den Baustellen. Per Schiff, per LKW, per Zug – durch die gut ausgebaute Infrastruktur und professionalisierte Logistik zu moderaten Preisen. Somit ist die Hemmschwelle zum Kauf im Ausland sehr gering, wenn der Energieaufwand außer Acht gelassen wird.
8. Energieaufwand für Baustoffe bei der Entsorgung/Wiederverwertung
Auch für die Entsorgung der Baustoffe wird Energie verbraucht. Die Entsorgung fängt mit dem Abbruch an. Da viele Gebäude mehrschichtige Aufbauten haben, gibt es in der Regel keinen reinen Bauschutt, der direkt weiterverarbeitet werden kann. Meist müssen die Materialien unter großem Energieaufwand voneinander getrennt werden, um eine neue Nutzung überhaupt möglich zu machen. Bei unbrauchbaren Materialien wird durch die Verwertung in Heizkraftwerken zwar noch einmal Strom erzeugt, dennoch ein nicht unerheblicher toxischer Teil des Materials in die Luft abgeben. Aus Sicht der Entsorgung sollte deshalb schon bei der Planung eines neuen Gebäudes die spätere Entsorgung berücksichtigt werden. Auch hier bieten sich Baustoffe an, die nahezu unberührt dem Kreislauf wieder zugeführt werden können. Lehm zum Beispiel.
9. Urban Mining hilft, gespeicherte graue Energie zu nutzen
Urban Mining bedeutet wörtlich übersetzt „städtischer Bergbau“ und hat unter anderem zum Ziel, die gespeicherte graue Energie in Städten zu nutzen. Dieser Ansatz birgt großes Potenzial, denn allein die deutsche Volkswirtschaft setzt jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen Materialien im Inland ein. Von diesen eingesetzten Materialien verbleiben besonders Metalle und Baumineralien oftmals lange Zeit in Infrastrukturen, Gebäuden gebunden. Über Jahrzehnte hinweg haben sich auf diese Weise enorme Materialbestände angesammelt, die zukünftig als Rohstoffquelle für Sekundärrohstoffe dienen könnten.
Bei einem Großteil der bestehenden Gebäude ist es jedoch nur mit hohem Aufwand möglich, die darin gespeicherten Rohstoffe herauszuziehen, da in der ursprünglichen Gebäudeplanung dieser Vorgang nicht berücksichtigt wurde. Umso wichtiger ist es, dass neue Gebäude bereits in der Planung als spätere Rohstoffquelle gesehen werden und so nach ihrer Lebensdauer die darin verbauten Rohstoffe einfach sortenrein trennbar sind und einfach zurück in den Stoffkreislauf fließen können.
10. Local Sourcing hilft, graue Energie zu reduzieren
Beim Local Sourcing – lokale Beschaffung – kommen insbesondere die Baustoffe zum Einsatz, die ein erhöhtes Vorkommen in der Region haben. Dadurch werden Transportwege verkürzt, der Energieaufwand gesenkt und somit der Anteil grauer Energie in einem Gebäude reduziert. Außerdem wird der Erhalt regionentypischer Bauwerke fortgeführt. Beispielhaft für Local Sourcing sind die Schieferhäuser im rheinischen Schiefergebirge, im Sauerland oder Siegerland.
11. Baustoffrecycling hilft, graue Energie zu nutzen und zu reduzieren
Beim Baustoffrecycling werden wertvolle Rohstoffe wie Bauabfälle, Abbruchabfälle und Bodenaushub als Sekundärbaustoffe (Recyclingbaustoffe) wieder in den Stoffkreislauf der Bauwirtschaft zurückgeführt. Das wirkt sich positiv auf die Umwelt aus, denn wenn für neue Produkte die Materialien aus Abbruchhäusern wiederverwendet werden, müssen der Natur weniger Rohstoffe entnommen werden. Zugleich ist die Energiebilanz von Produkten nach dem Recycling oft besser als bei der Neuproduktion.
Unterschied zwischen Urban Mining und Baustoffrecycling:
Baustoffrecycling ist ein Teil der Abfallwirtschaft. Während diese dann einsetzt, wenn der Abfall bereits vorhanden ist, setzt Urban Mining früher an und bezieht den Gesamtbestand an langlebigen Gütern mit ein. So sollen möglichst früh künftige Stoffströme prognostizieren und bestmögliche Verwertungswege abgeleitet werden können – noch bevor die Materialien als Abfall anfallen. Baustoffrecycling kann dabei ein Teil von Urban Mining sein.